Donnerstag, 5. September 2013

There´s nothing wrong with you


"An Dir ist nichts falsch". Für diese Erkenntnis habe ich mehr als 42 Jahre benötigt.

Dann bin ich durch Zufall (oder Fügung?) im Internet über den Begriff "Hochsensibilität" gestolpert. Neugierig wie ich bin, habe ich den dazugehörigen Artikel gelesen. Es ging darum, dass ein bestimmter Prozentsatz aller Menschen Sinnesreize intensiver wahrnehmen und verarbeiten und deshalb schneller überreizt ist. Eine Person mit dieser Charaktereigenschaft (HSP = Highly Sensitive Person) ist auf Grund dieser Besonderheit früher als "normal" sensible Menschen erschöpft - durch Geräusche, Gerüche, optische Eindrücke oder auch zwischenmenschliche Schwingungen. Das bedeutet nicht, dass eine HSP weniger aushält, sondern in kürzerer Zeit mehr aushalten muss, was dazu führt, dass der Akku einfach früher leer ist.

Es gab einen Fragenkatalog, mit dem man testen konnte, inwiefern typische Merkmale für HSP auf einen selbst zutreffen. Ups... Fast alle Fragen konnte ich mit "Ja" beantworten. Wie konnte das nur sein? Fast alles, was mir in meinem Leben Rätsel über mich selbst aufgegeben und mir Probleme bereitet hatte, wurde hier mit einem Schlag glasklar! :-O Warum hat mir das noch nie jemand gesagt?

Wie oft musste ich mich belächeln lassen, wenn ich wieder als einzige irgendwelche Gerüche wahrgenommen hatte! Deshalb hatte niemand außer mir je das hohe Piepen des alten Fernsehgerätes gehört! Ich bin nicht verrückt, weil mir das Licht der Neonlampen im Büro oder der Duft schwülstiger Parfums regelrecht körperliche Schmerzen bereiten! Und ich bin kein Weichei, das nicht belastbar ist, weil ich nach einem normalen Arbeitstag immer völlig erschöpft bin und keine Kraft für irgendetwas mehr habe!

Das alles und noch viel mehr habe ich mit einem Mal erkannt. Ich habe wochenlang alles zu dem Thema in mich aufgesaugt. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich wirklich wertvoll gefühlt. 



Hochsensibilität hat nämlich nicht nur Nachteile. Wenn man diese Besonderheit annimmt, kann man in den Genuss vieler Qualitäten kommen. Hochsensiblen wird unter anderem eine starke Kreativität nachgesagt, ebenso eine äußerst gründliche und exakte Arbeitsweise sowie große Empathie und Idealismus.

Vieles von dem habe ich intuitiv immer tief in mir gefühlt, aber meine Umwelt hat mir stets das Gefühl vermittelt, dass ich einfach härter werden muss - dass ich nicht genüge. "Sei doch nicht so empfindlich" oder "Kann Dir Dein Arzt da nicht mal ein paar Tabletten verschreiben" sind nur zwei der typischen Sätze, die mich verfolgt haben. "Stell Dich nicht so an", "da muss Du durch", "andere Leute schaffen das auch". Doch die Vorzüge der Hochsensibilität kommen nur zum Tragen, wenn man sein "So-Sein" nicht unterdrückt, sondern zu einer Lebensweise findet, die diesen Gaben Platz zum Gedeihen lässt.

Merke: Ich bin nicht "andere Leute". Und wenn man sich sein ganzes Leben lang dazu zwingt, irgendwo "durch zu müssen", was der eigenen Natur so dermaßen widerstrebt, wird man zuerst unglücklich und dann irgendwann krank.

Seid Ihr neugierig? Mehr zu dem komplexen Thema findet Ihr zum Beispiel bei www.zartbesaitet.net

Die wichtigsten Erkenntnisse, die ich bis hierhin für mich gewonnen habe: Ich werde zukünftig mehr auf meinen Bauch hören. Ich werde nicht länger versuchen, jemand zu sein, der ich nicht bin. Ich bin ich. Mit mir stimmt alles. Ich genüge. :-)   



Eure

Angela 

2 Kommentare:

  1. Hey :)

    ich finde das Thema nach wie vor verdammt interessant. Mich würde deshalb mal interessieren, wie du das im Job umgesetzt kriegst!! Privat kann man sich ja ein guttuendes Umfeld schaffen, aber im Job ist das meiner Erfahrung nach alles andere als einfach.

    Ganz lieben Gruß ;)

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    1. Liebe Didi,

      da hast Du ganz Recht und das ist definitiv der schwierigste Teil, weil hier der Grad der Selbstbestimmtheit besonders niedrig ist. Ich bin auch erst mal noch nicht weit über die Phase der Erkenntnis hinaus und kann Dir kein Patentrezept liefern.

      Ich habe das Glück, dass ich seit dem 1. August meine Stundenzahl reduzieren konnte - auch wenn das einige Einschränkungen bedeutet. Aber das ist es mir wert! Allein die Aussicht darauf hat mir schon geholfen...

      Es kann helfen, in Situationen, in denen man merkt, dass der Stresspegel sich einem unguten Maß nähert, mal hinaus zu gehen. Im Notfall einfach mal ein paar Minuten auf dem Klo einschließen und tief und ruhig in den Bauch atmen. Oder die Bürotür zu machen oder das Telefon umstellen, wenn das möglich ist (beides geht bei mir z. B. gar nicht). Möglicherweise hilft auf Dauer auch nur ein Jobwechsel...?

      Ansonsten würde mich tatsächlich auch interessieren, wie andere HSP das handhaben. :-)

      Viele liebe Grüße

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